Podcast Episode #101-102

Being Agile in Construction

Bei großen Bauprojekten kann die Anwendung agiler Prinzipien einen entscheidenden Unterschied machen. Aber wie bringt man einen agilen Ansatz in ein 1,68 Milliarden Euro schweres Bauprojekt ein, das in einem komplexen Netzwerk aus politischen Vorgaben, gesellschaftlichen Anforderungen und zahlreichen Auftragnehmern durchgeführt wird?

In unserem Vortrag auf der Global LeSS Conference 2024 in Madrid haben wir Einblicke in die fünf Phasen unseres von Large-Scale Scrum (LeSS) inspirierten Agile Construction Working Model gegeben. In diesem Beitrag stellen wir die wichtigsten Erkenntnisse unserer Reise vor und geben einen Einblick in die groß angelegte agile Implementierung im Bauwesen. Der SuedOstLink ist ein wichtiges deutsches Infrastrukturprojekt, das die Energiewende unterstützen soll, indem es Windenergie aus dem Norden in den Süden transportiert, während die Kernkraftwerke im Süden abgeschaltet werden. An dieser 540 Kilometer langen HGÜ-Leitung, die im Norden von 50Hertz und im Süden von TenneT betrieben wird, sind mehrere Akteure und Hochspannungsleitungen beteiligt. Das Projektteam „Tiefbau und Leitungen“ beaufsichtigt Produktdesign, Produktion, Logistik sowie Bau- und Installationsarbeiten. In diesem komplexen Umfeld haben wir einen agilen, von LeSS inspirierten Ansatz gewählt, um die Projektziele effizient und anpassungsfähig zu erreichen.

„Es war von Anfang an klar, dass wir nur gemeinsam, kollaborativ und mit Hilfe von Schwarmintelligenz erfolgreich sein können.“ Thorben Müller, Projektleiter Tiefbau & Leitung
50 Hertz

Diese Erkenntnis von Thorben gab den Ton für unsere Herangehensweise an das SuedOstLink-Projekt an. Angesichts der Komplexität dieses Pionierbauprojekts wussten wir, dass die traditionellen, Methoden nicht ausreichen würden. Stattdessen mussten wir uns eine agile Denkweise zu eigen machen, um das komplizierte Netzwerk aus politischen Richtlinien, gesellschaftlichen Anforderungen und zahlreichen Auftragnehmern zu navigieren.

Auf unserem Weg zur Agilität haben wir ein flexibles, kollaboratives Modell eingeführt, das von Large-Scale Scrum (LeSS) inspiriert ist. In unserer Keynote auf der Global LeSS Conference stellten wir die fünf Phasen unseres agilen Arbeitsmodells für das Bauwesen vor und erläuterten, wie es unseren Projektmanagement-Ansatz umgestaltet hat. Im Folgenden gehen wir auf die Schlüsselelemente dieser Reise ein und zeigen ein seltenes Beispiel für eine groß angelegte agile Implementierung im Bauwesen.

Komplexität und Umfang des Projekts

Eine unserer größten Hürden war die Bewältigung einer riesigen Anzahl von einander abhängigen Aufgaben, darunter Genehmigungen, Ausschreibungen und Ausführungsplanung. Thorben brachte diese Komplexität im Podcastinterview auf den Punkt, mit dem Satz: „Bauprojekte dieser Größenordnung sind wie ein riesiges Puzzle mit beweglichen Teilen. Wir mussten sicherstellen, dass jedes Teil perfekt passte, auch wenn sich das Bild ständig änderte.“ Die Parallelisierung dieser voneinander abhängigen Aktivitäten erforderte eine agile Denkweise. Wir wechselten von den traditionellen Wasserfallmethoden zu einem flexibleren Ansatz, der Änderungen der Anforderungen oder unerwartete Hindernisse bewältigen konnte. Durch die Einführung agiler Methoden schufen wir eine Umgebung, in der Feedback und Anpassungen Teil des Prozesses wurden, anstatt ihn zu unterbrechen.

Enger Zeitplan für das Zusammenschweißen der Teams

Die Komplexität wurde durch den engen Zeitplan noch verstärkt. Wir hatten nur 1,5 Jahre Zeit, um alle Partner zusammenzubringen, das Produkt fertigzustellen und effektive Arbeitsbeziehungen aufzubauen. Die Geschwindigkeit, mit der wir effektive Partnerschaften aufbauen mussten, war beispiellos. Die agilen Methoden ermöglichte es uns, diese Beziehungen zu verbessern und die bestehenden Barrieren in der Zusammenarbeit abzubauen.

Die Umstellung auf agile Prinzipien erleichterte eine schnellere Entscheidungsfindung und förderte eine enge Zusammenarbeit. Unsere Teams lernten, sich auf neue Informationen einzustellen, sobald diese eintrafen, und sorgten so für einen reibungslosen Fortschritt trotz der hohen Belastung des Projekts.

Art der Aufgaben

Ingenieurprojekte sind von Natur aus technisch und erfordern iterative Anpassungen auf der Grundlage neuer Informationen. In der Praxis bedeutete dies, dass wir mit bestimmten Aufgaben begannen, ohne von vornherein alle Antworten zu haben, und unseren Ansatz mit dem Fortschreiten des Projekts verfeinerten. Dieser iterative Prozess war nur möglich, weil wir einen agilen Rahmen gewählt haben, der die Unbekannten und Ungewissheiten, die für solche Großprojekte typisch sind, mit einbezieht. Wir hatten nicht den Luxus, alles von Anfang an perfekt zu planen. Stattdessen entwickelten wir das Modell in der Praxis und passten es auf der Grundlage unserer Erfahrungen und Rückmeldungen an.

Durch die Einführung agiler Prinzipien gelang es uns, den Umfang, die Komplexität und den engen Zeitplan des Projekts zu bewältigen, was zu einer verbesserten Zusammenarbeit und Transparenz innerhalb des Teams führte. Der Übergang zu einem agilen Arbeitsmodell war nicht nur ein „großer Wurf“ für das Projekt, sondern markierte einen grundlegenden Wandel in der Art und Weise, wie Bauprojekte verwaltet werden können, um eine größere Anpassungsfähigkeit und Reaktionsfähigkeit zu ermöglichen.

Die Geburt eines Arbeitsmodells

Die Umstellung auf ein agiles Arbeitsmodell im Bauwesen geschah nicht über Nacht. Er erforderte eine bewusste Veränderung der Denkweise, der Prozesse und der Interaktionen. Inspiriert von Scrum- und LeSS-Prinzipien entwickelten wir ein Fünf-Phasen-Modell, das auf die besonderen Herausforderungen der Baubranche zugeschnitten war. Dieses Modell half uns nicht nur, die Komplexität des Projekts zu bewältigen, sondern legte auch die Grundlage für eine bessere Zusammenarbeit, Anpassungsfähigkeit und Reaktionsfähigkeit.

Wir erkannten, dass wir unser Modell auf Werten, Rollen und Arbeitsabläufen aufbauen mussten, die unserer Realität vor Ort entsprachen, und nicht nur ein Lehrbuchbeispiel für Agilität sein durften, damit es funktionierte. Das bedeutete, die traditionellen Silos im Bauwesen aufzubrechen und eine neue Arbeitsweise zu fördern, bei der Lernen, Kommunikation und kontinuierliche Verbesserung in jeder Phase des Projekts einen festen Platz haben.

1. Werte: Das Fundament der Agilität

Die Reise begann mit der Definition der Grundwerte, die unser agiles Konstruktionsmodell verankern sollten. Wir übernahmen die fünf Grundwerte von Scrum - Engagement, Fokus, Offenheit, Respekt und Mut. Es war von entscheidender Bedeutung, ein gemeinsames Wertesystem zu schaffen, da es unser Leitstern für die unvermeidlichen Komplexitäten und Unwägbarkeiten des Projekts wurde. Diese Werte bestimmten unsere täglichen Interaktionen und Entscheidungen, halfen uns bei der Bewältigung von Herausforderungen und hielten die Teams bei der Stange. Sie bildeten die Grundlage für den Rest des Modells, da wir uns immer auf mindestens fünf Werte als Basis einigen konnten.

2. Die Rollen: Neue Wege der Zusammenarbeit einführen

Die Umsetzung von Agilität erforderte die Einführung von Rollen, die über die traditionellen Rollenbezeichnungen im Bauwesen hinausgingen. Wir passten Rollen wie Product Owner und Scrum Master an den Baukontext an und führten neue Rollen wie Scouts und Buddies ein, um Lücken zu schließen und die funktionsübergreifende Zusammenarbeit zu fördern. Diese Rollen wurden entwickelt, um Menschen zusammenzubringen und die für Großprojekte typischen Barrieren abzubauen. Die Rollen förderten eine flüssigere Kommunikation und den Austausch von Wissen, was für den Erfolg des Projekts entscheidend ist.

3. Artefakte: Ziele mit transparenten Backlogs abgleichen

Die Erstellung eines einheitlichen Product Backlogs war einer der schwierigsten, aber wichtigsten Schritte in unserem Modell. Zusätzlich zu den einzelnen Sprint Backlogs wollten wir Produktinkremente definieren, die den sich entwickelnden Charakter des Projekts widerspiegeln. Die Übersetzung war hier eine echte Herausforderung, denn wir mussten einen Weg finden, konstruktionsspezifische Aufgaben in die Sprint-Kadenz einzupassen und sie mit unseren gemeinsamen Projektzielen in Einklang zu bringen. Dieser Prozess der Definition und Verfeinerung von Backlogs ermöglichte es uns, transparent zu machen, was zu tun war, und er bot die Flexibilität, sich anzupassen, wenn während der verschiedenen Projektphasen neue Informationen auftauchten.

4. Events: Der Herzschlag des Projekts

Wir führten Schlüssel-Events ein, darunter Multiteam Sprint Plannings, Multiteam Refinements und Sprint Reviews, um Klarheit und kontinuierliches Feedback zu gewährleisten. Im Gegensatz zu herkömmlichen Jour Fixes und Meetings wurden bei diesen Events Stakeholder, Management und Partner einbezogen, so dass jeder aktiv zur Ausrichtung des Projekts beitragen konnte. Die Sprint-Reviews waren besonders wichtig. Sie hatten einen immensen positiven Effekt, da sie den Fortschritt und die Herausforderungen sichtbar machten und sicherstellten, dass alle, auch die externen Partner, einbezogen wurden und auf derselben Seite standen.

5. Workflows: Flexibilität gegenüber starren Prozessen schaffen

Anstatt uns strenge Definitionen aufzuerlegen, konzentrierten wir uns auf die Schaffung anpassungsfähiger Arbeitsabläufe. Diese wurden sowohl von den LeSS-Prinzipien als auch von Scrum beeinflusst und betonten, wie Teams und Partner interagieren, anstatt lediglich einem festgelegten Prozess zu folgen. Es ging um Menschen und Interaktionen statt um Prozesse und Tools. Diese Flexibilität ermöglichte es uns, uns an die sich ständig verändernde Natur von Bauprojekten anzupassen.

In diesen fünf Dimensionen bot unser agiles Arbeitsmodell für das Bauwesen einen strukturierten und dennoch flexiblen Ansatz, um die Komplexität des Projekts zu bewältigen. Es schuf eine Umgebung, in der die Zusammenarbeit gedieh, Feedback geschätzt wurde und Anpassungen in Echtzeit vorgenommen wurden, um das Projekt in einem unvorhersehbaren Umfeld zum Erfolg zu führen.

Die Herausforderungen

Auf unserer agilen Reise war Scheitern kein Rückschlag - es war ein Katalysator für Wachstum. Oder wie Thorben es im Podcast sagt: „Ingenieure haben einfach Bock darauf, Dinge auszuprobieren!“ Anstatt sich auf theoretische Diskussionen zu beschränken, waren unsere Teams bestrebt, Prototypen zu entwickeln, ihre Ideen zu testen und aus dem Feedback aus der Praxis zu lernen. Dieser praktische Ansatz wurde zu einem zentralen Bestandteil unseres Arbeitsmodells, selbst wenn wir mit schwierigem Feedback konfrontiert wurden oder wiederholt Sprint-Ziele verfehlten.

Ein Kernprinzip im Ingenieurwesen ist die Verpflichtung zu iterativem Lernen und ständiger Verbesserung. Anfangs bestand die Versuchung, alles perfekt zu planen. Wir erkannten jedoch bald, dass es weitaus effektiver war, unser Modell in der Praxis anzupassen und zu testen. Indem wir jeden Sprint als Gelegenheit betrachteten, zu experimentieren und unsere Prozesse zu verfeinern, kamen wir dem agile Construction Arbeitsmodell näher.

Dieser iterative Ansatz prägte nicht nur unseren Umgang mit Fehlschlägen, sondern hatte auch einen „Sogeffekt“ auf die gesamte Organisation. Als die Neugier wuchs, begannen andere Teams, an unseren Verfeinerungs- und Planungssitzungen teilzunehmen, um aus unseren Erfahrungen zu lernen. Um diese Lernkultur weiter zu fördern, führten wir ein wöchentliches, für alle offene Agile Sprechstunde ein. Es wurde schnell zu einem beliebten Forum, das den Wissensaustausch förderte und Teams im gesamten Projekt dabei half, agile Prinzipien zu verinnerlichen. Auf diesem iterativen Weg haben wir mehrere wichtige Lektionen gelernt:

  • (1) Large-Scale Scrum is Scrum: Scrum auf vier Teams und mehrere externe Partner zu skalieren und dabei die Kernprinzipien intakt zu halten, war eine Herausforderung. Übungssprints waren entscheidend für das Verständnis der Dynamik von Scrum, und später bildete der Continuous Learning Plan (CLP) eine solide Grundlage.
  • (3) Transparenz: Um Vertrauen zwischen den Teams und Partnern aufzubauen, war Transparenz erforderlich. Bei Veranstaltungen mit mehreren Teams konnte jeder den tatsächlichen Stand des Projekts einsehen, was eine fundierte Entscheidungsfindung erleichterte und das Vertrauen auf allen Ebenen stärkte.
  • (9) Lean Thinking: Eine weitere Herausforderung bestand darin, Verschwendung zu vermeiden – sei es in Bezug auf Ressourcen oder unnötige Besprechungen. Lean Thinking half uns dabei, effiziente Veranstaltungen auf der Baustelle durchzuführen und unsere Bemühungen auf das zu konzentrieren, was wirklich einen Mehrwert schafft.

Mit dieser Einstellung feierten wir nicht nur unsere Erfolge, sondern auch unsere Misserfolge. Dieses Engagement für praxisnahes Lernen, Transparenz und schlanke Denkweisen ermöglichte es uns, unser Arbeitsmodell für agiles Bauen kontinuierlich anzupassen und zu verfeinern. Letztendlich brachte es das gesamte Projekt näher an die Essenz von Large-Scale Scrum heran und schuf eine dynamische und reaktionsschnelle Arbeitsumgebung. Für eine weitere Nachlese, empfehle ich dir die Case Study aus dem Projektmanagement Aktuell Magazin, bei wir das Vorgehen zusammen mit dem Kabelproduzenten NKT erläutern.