Podcast Folge #25
Selbständig, frei und von der Politik vergessen? Ein Interview mit Catharina Bruns
Mit Catharina Bruns hat die Welt der Selbstständigen eine starke Fürsprecherin. Als Gründerin und Vorsitzende der Kontist-Stiftung tritt sie aktiv und lautstark für eine bessere Politik von Selbständigen ein. Mit dem Selbstständigentag der Kontist Stiftung hat sie eine ganze Konferenz dieser Vision gewidmet. Mit allein drei laufenden Unternehmen ist sie Vollblutunternehmerin und nimmt sich die Zeit mit mir über gesellschaftliche Risiken, Chancen und Hindernisse einer Selbständigen zu sprechen.
Was ich selbst in meinen Artikeln und Podcasts stets hinaus brüllen möchte, beschreibt Catharina Bruns schon einmal sehr gut. Nicht nur geht sie den Weg der Unternehmerin, sie setzt sich auch auf politischer Ebene stark für Entrepreneurship und Unternehmertum ein.
“Der Wandel kommt nicht von allein, dein Tun hast du nur selbst im Griff.”
Deutschland, deine Selbständigen
Warum? Weil in Deutschland die Lobby für Entrepreneure, ob Freelancer oder Unternehmensgründer, relativ klein ist und es zum Beispiel gegen veraltete Freelancer-Gesetze kaum Unterstützung von Parteien oder Gewerkschaften gibt. Feste Angestelltenverhältnisse sind noch immer die Regel, gewürzt mit ein wenig Home Office und Freigetränken ist das schon die Speerspitze des New Work.
Als Unternehmerin braucht es also eine gehörige Portion Resilienz diese Aufgaben, von einfacher Buchhaltung, Kaltakquise, neuen Ideen und Gesetzesanforderungen unter Kontrolle zu bringen. Moderne und effektive Förderung vom Staat gibt es kaum. Auch hier liegt die Crux unserer stagnierenden GründerInnenzahlen: wer keine Unsicherheit und Risiken zulässt, braucht sich nicht wundern, dass die oft zufälligen Erfolge ausbleiben. Auch Unternehmen sehen sich in der bedrückenden Lage keine klare Rechtssicherheit auf ihrer Seite zu wissen. Da ist die Kündigung einer ganzen Riege an bestens ausgebildeten und motivierten FreelancerInnen bis zum Komplettverbot der Weiterbeschäftigung, wie bei Vodafone 2019 geschehen, ein absoluter Alptraum für einen global agierenden Arbeitsmarkt. Wer Anziehungskraft auf ausländische Arbeitskräfte ausüben möchte, muss sich dringend neue Visionen suchen.
Genau das macht Catharina zusammen mit ihrer Geschäftspartnerin Sophie seit Jahren. Sei es als Gründerin des Unternehmens Supercraft, als Co-Organisatorin des erfolgreichen Hello Handmade Marktes in Hamburg oder als Autorin von Büchern, wie workisnotajob mit denen sie zeigt, wie Arbeit jenseits der Festanstellung noch möglich ist.
Catharina lebt ihren selbst gewählten Beruf als Unternehmerin, Autorin und neuerdings Stiftungsvorständin der Kontist Stiftung mit voller Inbrunst. Wann immer ihr der Gegenwind aus den Fabrikhallen dieses Landes um die Ohren weht, tritt sie ein für diejenigen, die sich entscheiden selbst was zu machen und Kraft ihrer Idee und ihres Einsatzes dem Modell der Normalarbeit der Festanstellung etwas entgegenzusetzen. Das macht Mut und ist wirklich inspirierend.
Doch alles auf Anfang: wie startet so eine Karriere?
Wie viele, die ich aus meinem Netzwerk kenne, erst einmal mit viel Enttäuschung. Catharinas Vorstellung von Großkonzernen und der Wunsch nach einer eigenen, schnellen Karriere bringen sie an den Rand des totalen Selbstzweifels: überall wird sie abgelehnt. Kein internationaler Tech-Riese scheint interessiert an der motivierten Frau, die sich so sehr in das stabile Angestelltenverhältnis mit großen Aufstiegsplänen wünscht.
Die Suche endet mit Yahoo. Mitten in der Wirtschaftskrise.
Catharina startet hypermotiviert in Dublin. 2008 bis 2010, also genau zum Crash, sitzt sie mit ihren Kollegen und Kolleginnen beim Mittag und merkt, dass irgendwas nicht stimmt. Instabil ist ihr Job noch immer, nichts scheint sicher in diesen Jahren. Ein Zustand, den sie sich als Angestellte gar nicht vorstellen konnte: Unsicherheit macht sich breit im Kopf. Und noch eins fällt ihr in Gesprächen auf: alle erzählen von Leidenschaften für Projekte und Ideen, die sie ausfüllen.
“Abends in den Pubs erzählten alle von ihren Hobby-Projekten die sie nicht als ihren Job bezeichneten, weil sie die Arbeit nicht ausfüllte. Da kam mir die Idee zu “Work is not a job”. Alle hatten entzückende Hobbies. Potentiale wurden aber im Job gar nicht erst abgerufen.”
Was linear und schön klingt, wird zur Zerreißprobe
Gerade die Außenwelt ist immens wichtig, wenn man unsichere Wege geht. Wie reagieren Freunde und Familie, wenn man den Prestigejob verlässt um sich einer Idee im Kopf zu widmen? Wie gehen Selbständige mit dieser Panikmache, neben der eigenen Angst, eigentlich um? Catharinas Antwort lautet schlicht und einfach: machen. Aktiv sein. Ausprobieren. Angst vor der Zukunft kann man gar nicht so einfach ablegen, wie immer so schön behauptet wird, aber man kann sich ein dickes Fell drüber ziehen.
“Inzwischen finde ich es normal, dass ich Projekte habe, von denen ich noch nicht weiß wie sie ausgehen. Was bedeutet Scheitern für mich? Ich fühle mich nur als Angestellte gescheitert. Auch wenn unternehmerisch nicht alles klappt, ist es für mich kein Scheitern. Ich höre ja nicht auf. Ich bin ängstlich. Aber die Dinge, die ich kann, mache ich einfach. Als Keynote-Speakerin bin ich aus meiner Perspektive gar nicht gut, aber ich habe Themen. Wenn einem etwas wichtig ist, dann muss man sich selbst zuständig machen. Das ist mein Ansatz.”
Wie man Unternehmen entwickelt.
Im Rückblick wirkt alles linearer als es sich in der Gegenwart darstellt (siehe auch Folge 22 über Steve Jobs’ Connecting the dots backwards). Wie genau kommt man auf ein Unternehmen, wenn bisher nur eine grobe Idee und ein bold statement stehen?
Die “Erstmal fing ich an mit einem Blog. Das war kein Geschäftsmodell. Leute wollten aber darüber lesen und fanden es total gut. Dann war ich plötzlich Freelancerin und habe plötzlich Grafik-Design-Projekte angenommen. Plötzlich ist man wieder in einer Auftragslogik gefangen.”
Wie wichtig es ist, dass die Idee erst einmal in die Umsetzung kommt, ohne dass ein Geschäftsmodell im Detail durchdacht und der Businessplan kalkuliert sein muss, ist eine wichtige Erkenntnis für viele Zweifelnden. Kein Mensch weiß vorher genau, wie das Unternehmen funktionieren wird. Die einzige Möglichkeit einen Unterschied zu machen, ist #selbstwasmachen. Work is not a job hat irgendwie als Brand funktioniert und Catharina fing an T-Shirts zu designen und Logos zu entwerfen. Speaking-Anfragen kamen rein. Von der Freelancerin zu Unternehmerin wurde sie als sie Sophie Pester kennenlernte. Zusammen gründeten sie supercraft, ein Abomodell für DIY-Kits. Ab der ersten Sekunde war sie plötzlich Unternehmerin und es lief. Ihr Anspruch war es einfach die Hürden aufzuweichen und Dinge selbst zu machen.
Erfolge und Gegenwind von außen
Nicht nur zu Beginn der Selbständigkeit begegnen einem die Zweifel, ob das alles so klappen wird. Auch währenddessen begegnen einem viele Widerworte, Copy Cats und hohe Ansprüche. Catharina hat dafür mehrere Lösungen gefunden, die zum Erfolg ihres ersten Unternehmens seit Launch führten. Ein detailliertes Wissen über die Zielgruppe, ungestillter Wissensdurst und die Begeisterung für Neues. Etwas, dass kein Großkonzern mit dem gleichen Service so schnell ausfüllen kann. Auch ihr Aktivismus für die Selbständigkeit stand immer wieder in der Kritik. Respekt vor den Resultaten der traditionellen Gewerkschaftsarbeit heißt für sie aber nun einmal keinesfalls moderne Wege mit einer inneren Schranke zu versehen. Die Lobby für Angestellte und ArbeiterInnen ist groß, die Parteien zu wenig bewandert mit neuen Arbeitsmethoden und Unternehmertum.
“Ich greife das Angestelltenverhältnis ja gar nicht an. Ich bin nur für die Selbständigkeit.”
Die Industrie in Deutschland und die digitale Selbständigkeit
Innovation mit Startups gleichzusetzen und Entrepreneurship mit Venture Capital stößt Catharina Bruns immer noch auf. Die klassische Startup-Welt ist um einiges etablierter als frei arbeitende Selbständige, deren Arbeit nun einmal nicht mithilfe einer einfachen Positionsbezeichnung zu erklären ist. Warum uns das stören sollte? Wir lassen oftmals Leute nicht frei und selbständig arbeiten und behindern damit den eh schon steinigen Weg Einzelner. Wenn man was anders macht, ist man ein Außenseiter. So jedoch funktioniert Innovation nicht. In der Bewertung durch andere werden uns die meisten Steine in den Weg gelegt. Unternehmertum ist, Catharina Bruns betont es mehrmals, nicht nur in Startups zu finden.
“Arbeit ist bei mir positiv besetzt. Ich trenne Arbeit jedoch klar vom Begriff des Jobs.”
Catharinas Vision für die Zukunft: eine Brandrede gegen “das haben wir schon immer so gemacht”.
Catharina bringt immer wieder das nötige Gleichgewicht hinein, um Selbständige zu fördern, aber auch heraus zu fordern. Sich die Selbständigkeit zu wählen und die Sicherheit der Festanstellung zu erwarten, ist auch für sie keine realistische Forderung. Ebenso gilt aber auch anders herum: Menschen, die tolle Angebote haben, mit erdrückenden Gesetzen in die falsche Richtung zu lenken, weil “es nun einmal so gehört”, macht nicht nur sie wütend. Die Rahmenbedingungen für UnternehmerInnen in Deutschland stimmen nicht, obwohl die Ansprüche und Risiken viel höher sind als für Angestellte.
“Ein Arbeitsmodell zu schaffen, welches den Menschen nicht ausbeutet, zum Beispiel die 40-Stunden-Woche und Arbeitsschutz, das sind alles Errungenschaften ohne Frage. Aber was kommt als nächstes?”