Podcast Folge #36

Warum es dich stärker macht, wenn du deine Verwundbarkeit zeigst.

Zeige ich meinen Kollegen oder meinem Chef ganz offen, wie ich mich fühle, oder zeige ich meine kalte Schulter? Die Frage danach, ob es Ok ist, wenn du deine Gefühle am Arbeitsplatz zeigst und wie dir das am besten gelingen kann, erörtere ich in dieser Folge und zwar ganz persönlich und offen an eigenen Erfahrungen.

Denn eigentlich ist es noch immer ein Tabuthema sich am Arbeitsplatz verletzlich und offen zu zeigen. Es kann dir sogar als Schwäche ausgelegt und dir können so Steine in den Weg gelegt werden auf deinem Karriereweg. Ich finde das extrem schade und spreche mich in dieser Folge also für mehr Offenheit zu Emotionen am Arbeitsplatz aus.

Es geht zum einen um meine ganz persönliche Suche nach mehr Verletzlichkeit und Offenheit. Ich teile mit dir die Erkenntnisse aus meinem Coaching-Hike auf Mallorca mit Peak Perspective. Und gebe dir wieder ein wenig Input an die Hand, erkläre dir das Kern-Schalen-Modell und das Bild des Stopfens von Löchern, um zum Schluss auch einmal die gesamtgesellschaftliche Frage über den Umgang mit Liebe, Schmerz und Verletzlichkeit zu stellen.

Unsere Suche nach Aufmerksamkeit und Liebe beschäftigt uns bis ins hohe Alter. Wir erkennen Muster aus unserer Kindheit und Teenageralter, denen wir als Erwachsene plötzlich ganz neutral und sachlich gegenüber stehen sollen. Das gelingt oft nicht. Wer schon einmal in einen Streit hineingeraten ist, in dem jemand (oder man selbst) plötzlich andere Wesenszüge erkennen lässt, sollte dem auf die Spur gehen. Soziolog*innen und Psycholog*innen widmen sich diesem Thema seit Jahrzehnten und einige spannende Erkenntnisse konnte ich auch schon für mich nutzen und damit einiges erklärbarer machen. Welche genau stelle ich euch hier vor. Am Schluss gebe ich dir noch einen ganz anderen Einblick in die soziologischen Arbeiten von Eva Illouz, die sich auf völlig andere Weise über unsere Verhaltensweisen in Beziehungen äußert.

Der Wunsch nach Aufmerksamkeit

Neugeborene, Kleinkinder und Teenager wollen ständig unsere Aufmerksamkeit, oder? In meiner eigenen Kindheit war die Suche nach Liebe, Wohlbefinden und, ja, Aufmerksamkeit einer der wichtigsten Aufgaben und mit einigen Hindernissen versehen. Eine Aufgabe, die meinen Charakter und persönliche Stärken und Schwächen durchaus stark geprägt hat. Als Vater möchte ich die Frage nach der Aufmerksamkeit deshalb einmal korrigieren:

Kinder brauchen unsere Aufmerksamkeit. Denn aufgrund fehlender Aufmerksamkeit und Liebe können sich oft unreflektierte Handlungsmuster entwickeln aus denen ein Erwachsener erstmal schlau werden und sich stellen muss. Es gibt aber Hilfsmittel und Werkzeuge. Eines erkläre ich hier.

Das Kern-Schalen-Modell

Einige Experten und Expertinnen haben das Kern-Schalen-Modell für sich und ihre Arbeit immer wieder genutzt und ausgearbeitet. Dabei sind auch Menschen, die nicht kritiklos geblieben sind, so zum Beispiel der Psychiater und Schweizer Arzt Samuel Widmer. Ich stütze mich aber insbesondere auf die Arbeiten von Dr. Christoph Thomann, der als Mediator, Moderator und Mitbegründer des Riemann-Thomann-Modells in Erscheinung tritt.

Das Kern-Schalen-Modell ist eine Theorie, die versucht menschliches Verhalten anhand von Schichten, die sich entwickeln zu erklären. Schon als Neugeborenes sind wir Bedürfnissen und Schmerzen ausgesetzt, die unsere Väter und Mütter nicht für uns lösen können. Zähne schmerzen, wir sind krank oder keiner erkennt, dass das Baby einfach Hunger hat. Wie gehen wir damit um? Und bleibt von diesen unbeantworteten Wünschen überhaupt etwas übrig im Erwachsenenalter?

Das Modell sagt eindeutig ja - schon im Kleinkindalter entwickelt sich um den Menschen eine Art Schutzmembran, die Schmerzschicht. Als Reaktion auf die nicht gehörten Wünsche werden Kinder aggressiv und trotzig. Genau diese “Trotzphase”, die oft thematisiert wird, ist im eigentlichen Sinne das tiefe Bedürfnis nach Liebe und Zuneigung. Die Aggressionsschicht verhindert in erster Linie unseren Schmerz und ermöglicht uns das vorangegangene Leid zu ertragen. Abwehr führt wiederum zu klaren Grenzen bei den Eltern und in der Erziehung. Sehr schnell lernen wir von den Eltern: “Deine Wut führt zu nichts.” Wir passen uns also an. Die dritte Schicht bildet sich heraus. Denn mittels Wut bekommen wir nicht das eigentlich ursprünglich Gewünschte von den Eltern: Wohlbefinden, Zärtlichkeit und ein Ohr zum Zuhören. Unsere Anpassung heißt gleichzeitig also auch, dass wir unsere essentiellen Gefühle vorher verleugnen. Nur wer freundlich bleibt und besonnen, bekommt was gewünscht ist. Innerlich jedoch bleibt oft die Lücke bestehen und das Gefühl wird nicht gelernt auszudrücken.

Menschen, die im Erwachsenenalter in ihren Schmerzschichten getroffen werden, reagieren entweder wütend (Schmerzschicht), kalt (Anpassungsschicht) oder verständnisvoll und annehmend - wenn sie sich mit ihren Gefühlen gelernt haben auseinander zu setzen. Für Konfliktfälle innerhalb eines Teams oder einer Gruppe gibt es uns Verständnis für den Zustand und den Prozess in dem sich der Einzelne und die Einzelne befinden kann. Sie entschuldigt keine Aggressionen, aber sie erläutert den Ursprung. In der Auseinandersetzung wird es nun einfacher zu reflektieren.

Vom Stopfen der Löcher

Als Kontrast möchte ich dir nun Eva Illouz’ Buch ans Herz legen: Warum Liebe wehtut. Die Auseinandersetzung der Autorin mit der Liebe gehen weit über ein psychologisches Modell hinaus und beschäftigen sich mit der Romantik und Moderne, mit Geschlechtsidentitäten und dem vermeintlichen Begehren nach der großen Liebe, die über Jahrhunderte unser Leben bestimmt.

Eine ihrer wichtigsten Thesen, für die sie auch zu Recht viel Aufmerksamkeit außerhalb der Soziologie-Welt bekam, betrifft die Ungleichheit der Geschlechter und die Verbindung zu Liebesbeziehungen. Ernüchternd stellt sie fest, dass wir es sind, die uns die glorreichen Worte über die Liebe, über Ritterlichkeit und Zerbrechlichkeit auferlegt haben um über Beziehungen und Liebe sprechen zu können. Die Qualen und das Leid, welche von der Ungleichheit und Rechtlosigkeit der Frauen ausgelöst werden, stehen dabei im extremen Gegensatz zur gefeierten Verführung der Liebe. Liebe und Beziehung traten damit an die Stelle von gesellschaftlichem Status - der Mann als Beschützer und machtvoller Held, die Frau als verletzliche und zu erobernde Liebende, Ehefrau und Mutter, die sich ihrem Partner und den Aufgaben komplett hingibt. Die Lücke, die in dem Bewusstsein entsteht, dass die Frau niemals den Status des Mannes erreichen kann, geschweige denn eine ähnliche Entscheidungsgewalt haben wird, wird also mit dem Narrativ der großen Liebe geschlossen.

Ein Plädoyer zum Schluss

Wie auch immer wir Fragen nach unseren ureigenen Gefühlen und dem Schmerz beantworten - eine Auseinandersetzung bringt dich immens weiter. Ehrliche und klare Worte drücken sich in einem positiven Umfeld aus. Auch wenn das mitten im Prozess manchmal schwer zu erkennen ist. Unsere Moderne beginnt gerade erst ein Bewusstsein für die Kommunikation über unsere Leiden und inneren Fragen zu entwickeln. Egal welchen Zugang du wählst, ob du ein Modell hilfreich findest oder dir Soziologen eine Erklärung und Trost anbieten können, Emotionen zu leugnen und zu schmälern, bringt dich in deiner Reflektion nicht weit. Begib dich auf die Suche nach deinen Schichten und Lücken! Zum Schluss möchte ich mit dir noch meinen persönlichen Text zur Vision Quest teilen, die letzte Aufgabe die wir an unserem letzten Tag auf Mallorca bearbeiten sollten; ein Gruß von unserem zukünftigen Ich an uns selbst:

Zu früh bin ich angereist, habe mich im Datum geirrt. Ich nahm es als ein Zeichen für meinen aktuellen Gemütszustand; zu schnell, zu viel und zu wenig bin ich für mich da. Aus diesem Grund bin ich zum Hike von Peak Perspective gefahren, hier nach Mallorca. Mit diesen wunderbaren Menschen, die ich in den letzten Tagen so echt und klar sehen durfte.

 

Es hat mich fast wahnsinnig gemacht den genauen Weg nie zu kennen, meinen kontrollierenden Geist nicht die Befriedigung von Antworten und Kontrolle geben zu können. Doch das war ein wichtiger Teil der Reise, wer sich ganz einlässt zu dem kommen die Antworten.

 

So wie ich zu Beginn der Reise zu früh da war, habe ich zu Beginn des Hikes zu viel Gepäck mit gehabt. Zum Glück habe ich intuitiv meine B+O Noise Canceling Kopfhörer und ein paar Klamotten im Auto lassen können. Trotzdem blieben die Blasen an den Füßen nicht aus, die Schmerzen in den Gelenken und der Muskelkater an allen Stellen, wo der Rucksack meinen Rücken berührte. Die starke Unterstützung von euch Jochen, Johanna und Marcus war fantastisch, doch zäher als jede mallorquinische Eiche und härter als der spitzeste Stein war nur meine Ausdauer der Ausflüchte und Erklärungen auf eure klugen Coachingfragen. Es tut mir so leid und es ist mir so unangenehm, wie viel Platz ich damit eingenommen habe; für euch Coaches, aber vor allem für meine Entwicklung hier.

 

Denn die neuen Aspekte, die ich an mir entdeckt habe, waren erstaunlich. Nie hätte ich gedacht, dass mir mein zwölfjähriges Ich begegnet und das die Antwort auf eine scheinbar unlösbare Frage so einfach ist.

 

Wir alle sind unsere eigene Heldenreise gegangen, haben uns mal abgeschirmt, wollten für uns allein sein, hatten Gesprächsbedarf oder brauchten eine Umarmung. Doch wie großartig war diese zusätzliche Ebene, sich in der Mitstreiterin/ dem Mitstreiter spiegeln zu können, seine eigene Vergangenheit und vielleicht auch seine Zukunft sehen zu können.

 

Dennoch war eine der wichtigsten Aspekte, die ich an mir wahrgenommen habe, dass ich auf mich gestellt war, mich spürte bei starken körperlichen Anstrengungen oder in einem Rifugio Dormroom, wo Wälder im Schlaf abgesägt wurden und das Licht die Nacht nicht ausging. Ich habe gelernt die Pflicht abzulegen Funktionieren zu müssen und ganz bei mir zu sein.

 

Ich hätte nie gedacht, dass meine wichtigste Frage für diese Reise; wie ich meine Stärke balancieren und besser nutzen kann, überraschend beantwortet wird. Ich kann nun sehen, dass meine hohe Energie und der Wille diese für Ideen, Projekte und meine Coachees einzusetzen, zu einem nicht unerheblichen Teil verpufft, weil ich mir nicht erlaube, ganz da zu sein, auch mit meiner Sanftheit und meiner Traurigkeit. Zu groß ist die Angst, ich könne mir mit dem Kontakt zu meinen verletzlichen Gefühlen, meine Stärke nehmen für mich.

 

Die Frage danach, was mich aufhält, wird für mich ab heute nicht mit einem weiteren „schneller“ und „weiter“ beantwortet, sondern mit einem „Halte inne.“

 

Wenn ich mir selbst aus der Zukunft gesprochen heute, an diesem Punkt mit euch auf Mallorca einen Rat geben würde, so wäre dies: „Ey Junge, schau dich um. Du bist komplett, hör auf so zu strampeln, das gibt nur Blasen. Du erreichst mehr, indem du dir erlaubst mit all deinen Anteilen ganz da zu sein, das ist dein Schlüssel zum Erfolg."

 

Ich bin tief berührt, danke euch dafür, dass ich euch wunderbare Seelen kennenlernen durfte, und gehe mit so viel mehr nach Hause, als ich gekommen bin. Danke.